Freitag, 28. Juni 2013

Kopenhagen Blitztournee

Ich war ein wenig zögerlich (gewesen): für fünfeinhalb Stunden nach Kopenhagen - macht das Sinn? Aber am Schluss überwog die Neugierde, und so fuhr ich Bus, stieg in einen anderen Bus, kaufte zwei belegte Brötchen bei einer jungen Frau, die schwer übermüdet direkt aus den 1990er Jahren von einer wilden Party in den Kiosk gebeamt worden war, nahm einen niedlichen Eurocity dänischer Bauart, der mit mir auf eine Fähre fuhr, das dänische Festland erreichte, dort diverse Probleme bekam, streckenweise sehr langsam fuhr und doch mit nur halbstündiger Verspätung in Kopenhagen ankam.

Mein Hauptinteresse galt einer besonderen Bauform, die es außerhalb der dänischen Hauptstadt nur äußerst selten zu kaufen gibt: Lastendreiräder mit gelenktem Hinterrad.

Zunächst jedoch organisierte ich mir ein (normales) Fahrrad, um mich frei durch die Stadt bewegen zu können und auch mal in den Genuss des immer wieder in höchsten Tönen gelobten Radwegenetzes zu kommen. Wie praktisch war es da, dass direkt gegenüber des Verleihs Nihola residierte.

Mein Traumfuhrpark
Wie es der Zufall wollte, wurde just an diesem Tag das neue Modell verlost. Also spazierte ich mit breiter Brust in den Laden und fragte, wer denn nun gewonnen hätte. Das wusste der nette Herr aber gar nicht, ließ mich jedoch gern ein bisschen mit dem klassischen Modell Family herumfahren.

Hart Backbord
Während ich ein paar Runden zwischen den geparkten Lastenrädern drehte, überraschte mich der doch sehr akzeptable Kurvenradius. Das letzte Rad mit Achsschenkellenkung, das ich fuhr, war das (deutlich größere) de Redding mit dem Wendekreis eines Ozeandampfers.

Ein weiteres Detail, das mir bisher entgangen war: die Sitzbank lässt sich mit einem einfachen Handgriff lösen und komplett entfernen. So wird dann auch der Platz in der Box erträglich groß, aber so sehr mir das Nihola gefällt: für zwei Kinder und Gepäck ist es eigentlich schon wieder zu klein, ganz zu schweigen bei noch mehr Kindern.

Also bedankte ich mich und erfuhr in einem kurzen Gespräch noch, dass es sich bei meinen nun zu besuchenden Fahrradhändlern um Original und Fälschung handele. Das Sorte Jernhest - übersetzt das schwarze Eisenpferd - sei das erste Rad mit dieser Lenkung gewesen, berichtete man mir, aufgrund von Problemen mit der Anmeldung des Patents sei es Bellabike dann aber möglich gewesen, auch so ein Rad zu bauen. Soso. Ab auf's Rad mit mir und weiter durch Kopenhagen.

Nachdem mich mein Smartphone mit offline gespeicherter Google Maps Karte zum Ziel navigiert hatte, stand ich vor einem Theater namens "Sorte Hest". Findige Leser erkennen an dieser Stelle, dass dies "Schwarzes Pferd" bedeutet. Nun, fast am Ziel also. Ich sah mich ein wenig um und fand schließlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einer Hofeinfahrt ein kleines Schild mit dem Namen der Fahrradmanufaktur.

Das Schwarze Eisenpferd

In der Werkstatt tönte AC/DC's "TNT" aus einer Stereoanlage und ein schwarz gekleideter Mann mit einem dieser "Hello, my name is ..." Aufnäher auf dem Hemd kam nach einer Weile hinter ein paar Brettern hervor. Da hätte ich aber Glück, ihn heute hier anzutreffen, sagte er, schließlich sei "Constitution Day" und eigentlich hätten alle Fahrradgeschäfte zu. Dass ich schon bei Nihola gewesen war und dort geöffnet gewesen sei, überraschte ihn doch sehr.

Ich durfte sowohl das original Sorte Jernhest sowie die größere Variante Sorte Jernhest Karet einige Runden um den Block fahren. Mit dem kleineren fing ich an. Um das zu beschreiben, muss ich kurz etwas weiter ausholen.

Dreiräder zu fahren fühlt sich grundsätzlich etwas anders an, weil man eben starr und fest über der Straße liegt. Keine Neigung in den Kurven (wenn man Räder wie das Veleon jetzt mal außen vor lässt), folglich zerren die Fliehkräfte viel stärker am Fahrer.
Bei diesem Rad jedoch mit gelenktem Hinterrad sorgten die ersten zehn, fünfzehn Kurven doch für einiges Schmunzeln. Anstelle der normalen, von so vielen Radfahrten erlernten und erwarteten Kurvenbewegung, schiebt sich beim Lenken plötzlich die eigene Hüfte in die entgegengesetzte Richtung zur Seite? Hah!

Ab der sechzehnten Kurve findet sich mein Vestibularapparat aber damit ab, dass hier alles ganz anders läuft, und ich beginne, mit dem Rad und seinen Eigenschaften zu experimentieren.

Da hinten gelenkt wird, läuft die Kette über eine Fünfgang-Nabenschaltung und ein Differential auf die Vorderachse, wo beide Räder Vortrieb leisten. Zurück auf dem Innenhof stelle ich meine kleine Kamera auf einen Stuhl und beginne, mit dem Rad Kreise zu ziehen. Die Wendigkeit ist fantastisch, ich kann das Sitzmöbel im kleinsten Kreis umrunden. Dabei tut das verbaute Differential ganz wunderbar seinen Dienst, das kurveninnere Rad dreht sich deutlich langsamer als das äußere Rad, während ich im Kreis fahre.



Hier im Video - in dem auch schon das Bellabike (mit den Blumen) zu sehen ist, sieht man ganz wunderbar die Wendigkeit dieses Typs.

Nach dem kleinen Jernhest darf ich auch das größere Karet - heißt soviel wie "Schlitten" - ausprobieren. Der Rahmen ist identisch, nur die Box ist über die Räder hinaus und mit nach außen geneigten Seitenwänden etwas größer Geraten, zusätzlich verschaffen die zwei parallel zur Fahrtrichtung einander gegenüber liegenden Bänke Platz für sechs Kinder, oder, wenn hochgeklappt, für - ich tippe mal - drei Umzugskisten.

Sorte Jernhest Karet

Mit geschlossenem Dach ist der Schlitten wirklich eine wuchtige Erscheinung, aber genau so wendig wie das kleinere Pendant. Und vorn gibt es sogar eine Tür zum Einsteigen. Mir schwant schon jetzt, dass nicht mehr viel kommen kann, um dieses Rad von meinem persönlichen Wunschkandidaten-Thron zu stürzen.

Deswegen überlege ich auch: soll ich überhaupt noch zu Bellabike fahren? Schließlich erwartet mich dort quasi das gleiche Rad, und ich könnte mich auch an den Tivoli in die Sonne setzen und einen dänschen Hot Dog essen ... Nein. Wenn man schon mal in Kopenhagen ist!

Also auf zu Bellabike, etwas außerhalb des Zentrums (wobei es mich trotzdem wunderte, dass ich mehrfach darauf hingewiesen wurde, wie weit es doch sei. Das in einer Fahrradstadt wie Kopenhagen? Letztendlich fuhr ich knapp 10 Minuten, und das mit mehreren Pausen, um in die Karte zu schauen.)

Auf dem Weg dorthin legte ich noch einen Stopp bei TrioBike ein, aber die hatten tatsächlich geschlossen, ich traf allerdings einen jungen Mann an, der offenbar aus der Designabteilung der Firma stammen musste: als ich ihn auf das TrioBike V2 ansprach, jenes Lastenrad, das sich in Fahrrad und Schiebewagen aufteilen ließ und das nur sehr kurz überhaupt gebaut wurde, schilderte er mir die Misere dieses Modells, wie, als man das "normale" TrioBike Mono angeboten habe, plötzlich 97% aller Verkäufe auf dieses Modell gefallen wären und das es vielleicht mal ein V3 geben könnte, dazu müsse er aber höchstselbst nach Taiwan reisen, um den Rahmen zu entwerfen, und wann er das schaffe, wisse er noch nicht.

Das Triobike Mono ist ebenfalls ein Zweisitzer und damit für meine Zwecke zu klein, das relativ neue Boxster war nicht vorrätig. Allerdings stand TrioBike irgendwie nur der Vollständigkeit halber auf meiner Liste, die optisch sehr schick anmutenden Räder aus diesem Hause sind mir von der Sitzposition zu sportlich, in den Details zu wenig komfortabel (zum Beispiel der aus meiner Sicht völlig unverständliche Verzicht auf einen Kettenschutz) und wie man immer wieder hört von nicht besonders hoher Qualität.

Bellabike Bella 4

Der Besuch bei Bellabike hat sich dann auch noch sehr gelohnt. Nicht nur das Vergnügen, dass Bellabike selbst fahren zu können - im Gegensatz zum Sorte Jernhest ein Aluminiumrahmen und insgesamt ein wenig moderner ausgestattet, zum Beispiel auch die nach Wunsch bedruckbare Box, sondern auch das Gespräch mit Inhaber Erik, der zum Schluss noch eine Diskussion philosophischer Tragweite vom Zaun brach: welches Land bringe wohl die innovativeren Lastenräder hervor, das kleine Dänemark oder Holland. Was da wohl die Leute von Urban Arrow zu sagen ... :D

Das Bellabike glänzt außerdem durch seine unglaubliche Konfigurierbarkeit in der Box. Man kann nahezu alles haben: zwei Bänke, vier Einzelsitze, Bank und ein Einzelsitz, Bank und zwei Einzelsitze, Einzelsitze, die sich in Liegeposition verstellen lassen können, eine einzelne Bank vorne mit Stauraum dahinter, ... der Kunde hat die Qual der Wahl. Einzig hochklappbare Bänke gibt es (noch) nicht, dafür auf Wunsch aber auch eine Tür vorn, die so aufgehängt ist, dass sich die Kinder die Finger nicht klemmen können.

Überhaupt erzählte Erik mir die gesamte Lebensgeschichte seines Rades, wie es zunächst nach seinem Erstgeborenen "Peter Pedal" hieß, der Name dann aber aus rechtlichen Gründen abgelegt werden musste, wie viel Liebe er in Details wie das erwähnte Scharnier steckt, wie wichtig ihm die Sicherheit der Fahrgäste ist, warum es bei ihm keine Sitzplätze seitlich zur Fahrtrichtung gibt - alles wohl überlegt, damit ist das Bellabike eben doch mehr als nur eine Kopie des Sorte Jernhest.

Neben dem "Bella 4" ist auch noch das etwas kleinere "Bella 2" im Angebot, das standardmäßig mit zwei Liegesitzen und einer Stoffkabine ähnlich einem Fahrradanhänger ausgestattet ist.

You're doing it wrong!
Und dann wäre da noch die Rikscha. Immer, wenn ich die Velotaxis hier auf Münsters Domplatz sehe, denke ich: "Nein, das ist falsch!" Die Fahrgäste nehmen hinter dem Fahrer Platz, die "C-Säule" nimmt ihnen einen guten Teil der Rundumsicht und nach vorne ist eben der Fahrer selbst im Weg (und was der bei diesem blöden Dach nach vorne sehen soll, ist mir auch schleierhaft.)

You're doing it right!
Bei einer Rikscha auf der Basis des Bellabikes (ganz ähnliches bekommt man auf Wunsch übrigens auch von Sorte Jernhest) sitzen die Fahrgäste vorn und haben freie Sicht. Bis zu 400 Kilo sind machbar, also "zwei dicke amerikanische Touristen", wie Erik sagte.

Wer so viel Gewicht nicht mit reiner Körperkraft stemmen will, kann bei der Rikscha auch auf einen Motor zurückgreifen, für besonders große Reichweite mit zwei Akkus, wobei auch mit nur einem Akku gefahren werden kann, während der andere geladen wird.

Für die Fahrgäste gibt es ein Sonnendach - auf dem Foto in der Transportposition eingehängt, und bei Regen sogar noch einen Überwurf, vom Prinzip ganz ähnlich dem eines Kinderwagens.

Ich bin mir sicher, in so einer Rikscha würde die Stadtrundfahrt deutlich mehr Spaß machen, als in dem seltsamen Gefährt auf dem kleinen Bild oben ... ob ich Fahrradrikschafahrer werden sollte? Aber das Wetter in Münster lässt zu wenige, profitable Arbeitstage zu :(

Und damit schließe ich meinen Bericht aus Kopenhagen, ich hoffe, es hat gefallen und ich habe in der Zwischenzeit nicht allzu viel vergessen. Wenn noch Fragen sind, immer gerne her damit, per Twitter, Facebook, Mail, Kommentar... wir machen ja voll in Social Media hier beim Bakfietsblog.

Und Links machen wir auch:
www.bellabike.dk
www.sortejernhest.dk
www.nihola.com
www.triobike.dk