Dienstag, 23. Mai 2023

Vom Lastenrad kopfüber ins Unglück

Die Westfälischen Nachrichten haben mal wieder was über Lastenräder gebracht. Es wurde mir gestern Abend schon von einem Menschen, der scheinbar die digitale Ausgabe hat, durchgesteckt. Bei meiner Suche konnte ich den Artikel nicht finden, wohl aber einen kurzen Bericht eines Volontärs, der sich ein Riese + Müller load ausgeliehen hatte, um daran Fern- und Bremslicht am Fahrrad zu probieren, und sich bereits im ersten Absatz komplett blamiert, als er die Maße des Rades mit "fast zwei Meter" für die Länge und "deutlich breiter als ein normales Fahrrad" für die Breite angibt. Falls das einem Lesenden nicht klar sein sollte: egal, welche Variante, das load ist IMMER Länger als zwei Meter und NIEMALS breiter als ein normaler Fahrradlenker. Profis am Werk.

Am nächsten Morgen dann aber las ich den Artikel, auf den ich verwiesen worden war, und mir bleibt nichts anderes übrig, als den hanebüchenen Schwachsinn, den Helmut P. Etzkorn hier verfasst hat, einmal abzuarbeiten. Legen wir los.

Der Artikel beginnt damit, dass beschrieben wird, wie Kursat Dalboy eine Vollbremsung mit einem Lastenrad macht. Der Dummy "P6" sei dabei auf den Asphalt geschleudert worden, und das in hohem Bogen. Auf dem Foto sehen wir zwar Pflastersteine, aber hey, wen interessieren schon solche Details, wenn Asphalt einfach griffiger klingt.

"In hohem Bogen" nach HP Actionkorn.

"Bei einem realen Geschehen hätte der Sechjährige sich mehrfach die Knochen gebrochen, auch die Halswirbelsäule hätte was mitgekriegt." sagt "DEKRA-Chef" Ludger Bolke. Ist er eigentlich der Chef der DEKRA? Oder vielleicht doch Niederlassungsleiter? Schon wieder diese Details. Helmut P. Etzkorn ist ein sehr junger, unerfahrener Journalist, da darf mensch das nicht so eng sehen.

Aber auch inhaltlich ist seine Behauptung natürlich schon sehr steil. Sehr, sehr steil. Angefangen damit, dass ein Kind Körperspannung und Muskeln hat, ein Dummy jedoch nicht. Aber gehen wir einfach mal davon aus, das Kind fiele wirklich aus dem Lastenrad, gebremst wird bei 25 20 Stundenkilometern *. Das Kind saß dabei auf einer Sitzbank etwa 50cm über dem Aspha... äh.. Pflaster. In etwa auf der gleichen Höhe, als wenn es selbst Fahrrad gefahren oder einfach nur gelaufen wäre.

Die kinetische Energie, die der Körper des Kindes hat, ist nicht zum Boden hin gerichtet.

Glaubt irgendwer hier ernsthaft, ein Kind würde sich bei einem Sturz alle Knochen, ja das Genick gar, brechen? Klar, Murphy. Wir wissen, passieren kann alles. Aber der Herr Bolke übertreibt hier doch ziemlich maßlos.

"Weil die Bremsen von Lastenrädern deutlich straffer und schneller als bei normalen Rädern greifen, seien schwere Unfälle [..] nahezu programmiert", behauptet er weiter.

Diese Behauptung ordnet Nachwuchsjournalist Etzkorn sogleich kompetent und mit nachrecherchiertem Fachwissen ein. Äh, ... nein. Muss er wohl vergessen haben. Also mache ich das hier für ihn. Zunächst mal: an jedem Fahrrad kann jede Bremse montiert werden. Nur, weil es ein Lastenrad ist, hat es noch lange keine besonders straffen Bremsen. Zwar finden wir an hochwertigen Lastenrädern tatsächlich oft auch Scheibenbremsen, bisweilen sogar sehr gute, die dann wirklich straff Bremsen, aber die gibt es natürlich für jedes andere Fahrrad auch, und die WN macht den Test mit einem Bakfiets Lastenrad des lokalen Verleihers Tretty. Das Shimano Rollerbrakes hat. Vorne und hinten. FUCKING ROLLERBRAKES. Das sind wohl die schwächsten Bremsen, die ein Fahrrad haben kann, und eines der Merkmale dieser Bremsen ist, dass sie (wenn gepflegt) NICHT VOLLSTÄNDIG BLOCKIEREN können.

Ich bin selbst lange Gazelle Cabby und Urban Arrow mit Rollerbrakes gefahren, ich sehe durchaus Vorteile bei diesem Typ Bremse, insbesondere die Wartungsfreiheit, aber Notbremsungen, damit? Ich muss fast den Verdacht äußern, das Foto zum Artikel könnte gestellt sein und der Dummy wurde durch die Luft geworfen? Ich wüsste nicht, wie eine derartige Bremswirkung mit Rollenbremsen zu erzielen sein sollte.

Als nächstes darf der Geschäftsführer der Verkehrswacht Christoph Becker ungeprüften Unsinn verbreiten: "Leider ist kaum ein Kind angeschnallt und die wenigsten tragen Helme". Hey Christoph: schickst du deine empirischen Daten dazu bitte einmal an "leckensiesichfett@keineahnung.lol"? Auch zur Anschlussbehauptung "Wie bei Pedelecs gehe die Unfallquote mit Lastenrädern signifikant hoch. Auch, weil vielen Fahrern Routine fehle."

Ja, sorry, Lastenradbubble. Ihr seid einfach alle nur zu scheiße, um die Räder sicher zu fahren. Ihr wusstet das bis gerade nicht, aber Helmut hat es ja zum Glück für euch aufgeschrieben.

Becker: "Das Fahrverhalten eines Lastenrades ist völlig anders als bei einem normalen Drahtesel."

Nein. Ist es nicht. Für Sie 14 Jahre lang im Dauertest. Gute Güte.

Im weiteren Verlauf des Artikels nennt er das Bremsverhalten von Lastenrädern dann "gut", war es nicht eingangs noch das Problem? Ich bin zunehmend verwirrt.

"Immer mehr Lastenräder sind elektrisch angetrieben, deshalb müssen Babys immer in speziellen Schalen sitzen." sagt Bolke dem Artikel nach. Ich hatte bislang gedacht, Babys müssten in speziellen Schalen sitzen, weil sie Babys sind und noch nicht auf Stühlen oder Bänken sitzen können. Aber was weiß ich schon, ich habe nur vier Kinder. Und elektrisch angetrieben sind übrigens nur (Klein)Kraftfahrzeuge, Pedelecs sind elektrisch unterstützt. Aber wieder so eine Kleinigkeit, die nur einem Anfänger wie Etzkorn in den Artikel durchrutschen kann.

Dann phantasiert der Artikel noch etwas herum, welche Voraussetzungen gegeben sein müssten, um Kinder zu transportieren. Die Straßenverkehrsordnung sagt hier: "Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr dürfen auf Fahrrädern von mindestens 16 Jahre alten Personen mitgenommen werden, wenn für die Kinder besondere Sitze vorhanden sind und durch Radverkleidungen oder gleich wirksame Vorrichtungen dafür gesorgt ist, dass die Füße der Kinder nicht in die Speichen geraten können." Zu Lastenrädern folgt noch, dass diese "zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet" sein müssen.

Eventuell ging in der WN Redaktion gerade das Internet nicht und Helmut P. konnte das nicht nachsehen, daher fehlt auch hier jegliche Einordnung. Hunde dürften dem Artikel nach "nur in entsprechendem Geschirr" mitfahren, auch das ist natürlich komplett falsch, für Hunde schreibt die Straßenverkehrsordnung beim Transport im Lastenrad eine Ritterrüstung vor.

Zum Glück gibt es ab Sommer Fahrsicherheitstrainings für Lastenradfahrer. Hallelujah. Da lernt mensch unter anderen, wie man nicht seitlich von einem Mercedes mit 50 Stundenkilometern gerammt wird. Kommt alle, es lohnt sich. Helmut ist bestimmt auch da.

*) Nachtrag: durch einen Bericht des WDR über denselben Test habe ich erfahren, dass mit 20km/h gebremst wurde. Also mit vermutlich/etwa dieser Geschwindigkeit, denn im Beitrag ist am Testrad keinerlei Tacho zu erkennen.

Donnerstag, 20. April 2023

Van Moof gibt auf?

Ach du scheiße. Ich habe im Februar VanMoof verlassen, weil es - wenn ich ehrlich bin - irgendwie von Anfang an mein Plan war, zu Traix Cycles zu gehen, ich hab' mich nur nicht getraut. Zu dem Zeitunkt sah es eigentlich schon wieder ganz gut aus, die Finanzierungsrunde war abgeschlossen, Ersatzteile waren auch wieder da, Gehälter wurden sowieso pünktlich gezahlt und sogar erhöht. Also Angestelltengehälter

Wie schlimm die finanzielle Schieflage der Firma sein muss, zeigt sich nun, da sie angekündigt haben, sieben Service Hubs zu schließen. Das Handelsblatt schreibt "weltweit", aber es scheint in Deutschland mindestens München zu erwischen, dort scheint schon Ende April Schluss zu sein, einige Rider haben schon E-Mails erhalten, wie es dort weiter gehen soll, es wird wohl stattdessen eine zertifizierte Werkstatt geben.

Welche werden die anderen sechs sein? Nur mal angenommen, Münster wäre dabei, was würde das bedeuten?

Im Service Hub Münster arbeiteten zuletzt drei Vollzeit- und drei Teilzeit Mechaniker an sechs Arbeitsplätzen und haben locker 12 Räder am Tag abgefertigt, von Routine Check-Ups über kleinere Wartungen bis hin zu den ganz schweren Fällen. Und das in der Off Season. Klar weiß ich: für mich beginnt die Fahrrad-Saison am 01.01. und endet am 31.12., aber in der "klassischen" VanMoof Fahrer:innenschaft sieht das doch noch etwas anders aus. Es werden im Sommer definitiv mehr.

Angenommen also, Münster würde schließen und stattdessen einen Händler finden, der bereit ist, zunkünftig VanMoof Reparaturen durchzuführen.

Es gibt keinen Händler in Münster, der das aktuell leisten könnte. 12 Räder am Tag zusätzlich zu den bereits bestehenden Reparaturen und Service-Aufträgen? Niemals machbar.

Extra Personal einstellen, um das schaffen zu können - zum Beispiel die Mechaniker aus dem Service Hub übernehmen? Wer würde sich diesen Klotz - also nicht die Mechaniker, Münster hat ein tolles Team - wer würde sich das freiwillig ans Bein binden?

In München geht der Service an "We Like Bikes", offebar eine größere Handelskette. Ich kann da nur viel Glück wünschen. Faktisch sieht das für mich so aus, als ziehe sich VanMoof vorerst vom Deutschen Markt zurück. Es sei denn natürlich, die neuen Modelle S5 und A5 erwiesen sich als zuverlässiger. Das muss die Zeit zeigen. Immerhin hab' ich schon ein paar davon in Münster herfumfahren sehen. FAHREN.

Wirklich erstaunlich, was das gerade passiert.

Sonntag, 16. April 2023

Auf Schokofahrt

Es ist Donnerstag, der 06. April 2023. Mein Wecker klingelt um 07:07 Uhr. Ich stelle ihn immer auf krumme Zeiten, niemals auf Punkt. Das muss einfach sein. 

Aber um Punkt 08:00 Uhr bin ich auf dem Schlossplatz verabredet. Dort startet die Schokofart. Runde 13 ist es, glaube ich. Ich habe nicht mitgezählt, ich bin im Jahr 2018 schon mal mitgefahren, da war es Nummer 4. Kommt das hin? *rechnet* Hm, in einem Jahr muss es nur eine statt zweier Fahrten gegeben haben. Gut möglich. Da war ja eine Pandemie und sowas.

Die Sonne scheint und es ist kalt. Auf dem Bakfiets und der Eurobox vor der Haustür hat sich sogar etwas Eis gebildet. Ich bin unschlüssig, ob ich mich wärmer anziehen soll. Normalerweise würde ich es nicht tun, zum einen soll es über den Tag wärmer werden und auch in den kommenden Tagen nicht mehr frieren, zum anderen gilt die Regel: bei Abfahrt immer etwas zu kalt angezogen sein. Die Wärme kommt beim Fahren.

Aber heute fahren wir in der Gruppe. Das bedeutet unter anderem: das Tempo bestimmt die Gruppe, die Pausen bestimmt die Gruppe. Eine Pause in leicht angeschwitzter Funktionskleidung kann schnell ganz schön frisch werden.

Aber ich entscheide mich gegen ein zusätzliches Kleidungsstück, und das soll sich schon kurz darauf als berechtigt erweisen: Die Sonnenstrahlen wärmen ordentlich, sogar beim Sammeln auf dem Schlossplatz.

Nachdem alle beisammen sind gibt es ein Foto, ein paar Worte von Lastenradinfluencer, Fahrrad-Podcaster und meinem persönlichen Coach Joko von Josbach zu den Handzeichen beim Fahren in der Gruppe, und dann geht es auch schon los.

In Deutschland fahren wir gemäß Straßenverkehrsordnung als geschlossener Verband auf der Fahrbahn. Die Innenstadt haben wir aber schnell hinter uns gelassen, und entlag der Landstraßen verkriechen wir uns ob der gefahrenen Geschwindigkeiten dann doch lieber auf die straßenbegleitenden Radwege. Kaum zu glauben, aber wahr: einige von denen sind deutlich breiter, als später in den Niederlanden.

Am Anfang ist das Tempo sehr zügig. Oder ich bin noch nicht richtig warm, jedenfalls macht mir bei der ersten Pause mein rechter Oberschenkel ein bisschen zu schaffen. Ich entfalte meinen mitgebrachten Klappstuhl und strecke die Beine aus. Das hilft schon mal. Dazu ein bisschen Obst und einen kleinen Drohnenflug.

Eigentlich würde ich die Gruppe ja sehr gerne während der Fahrt filmen, aber das auf- und abrüsten der Drohne geht mir nicht schnell genug, und ich habe keine Lust, für einen Shot von einigen Sekunden die Gruppe zwei Mal anzuhalten. Ich sollte mir das merken und die Drohne beim nächsten Mal einfach zuhause lassen.

Oder aber wir müssten mit einem Hase Pino oder ähnlichem Tandem fahren, dann könnte eine*r fahren und eine*r fliegen ... Na, das wäre doch eine Idee.

Das Wetter meint es noch gut mit uns, es ist schwer vorstellbar, dass noch am selben Tag Regen und grauer Himmel erwartet wird.

Wir rollen weiter durch Ahaus, am niederländischen Event-Supermarkt "Ter Huurne" vorbei nach Haaksbergen, wo wir Mittagspause machen. Ich erwerbe eine große Patat Speciaal, nur um festzustellen, dass die Portion für 4,25 Euro wirklich zu groß für mich ist. Zum Glück langen andere fleißig zu.

Überhaupt für mich interessant, für andere, wie ich erfahre, nicht neu: mein Wille, große Portionen zu essen, ist auf der ganzen Fahrt trotz der immensen körperlichen Betätigung nahezu überhaupt nicht vorhanden. Das sollte sich auch bei der Ankunft in Amsterdam zeigen, wo von unterwegs noch Pizza geordert wurde, und als wir dann da waren, konnte ich gerade mal drei Stücke essen.

In Haaksbergen werden wilde Spekulationen über das bevorstehende Wetter angestellt. Einige Mitfahrende haben Komoot Premium abonniert und sind so minutiös über das Wetter entlang der Strecke informiert, andere schauen auf den Regenradar. Man ist sich uneins, wie stark es regnen wird, aber wir fahren definitiv in den Regen hinein, also legen viele entsprechend Kleidung an. Ich schiebe das noch ein bisschen hinaus. Schließlich lehrt die Erfahrung: in Regenhose bin ich anschließend genau so nass, nur halt vom Schweiß, nicht vom Regen.

Es bleibt dann bei Nieselregen, insofern bereue ich meine Entscheidung nicht. Die Radfahrhose fühlt sich kaum nass an, meine Van Moof Jacke hat einen prima Job als Regenjacke gemacht. Ich hänge alles zum trocknen, dusche und gehe zum Abendessen. Ich freue mich sehr, dass ich das Abendessen im Hostel dazu gebucht habe. Es erschien recht teuer, aber jetzt nochmal in den nächsten Ort zu radeln, um dort Pommes zu essen, darauf hätte ich gerade wirklich wenig Lust.

Und am nächsten Morgen haben wir auch Frühstück gebucht. Es ist üppig und durchaus lecker, weshalb sich unsere Abfahrt ein wenig verzögert. Und der Nieselregen vom Vortag ist geblieben, das mindert die Motivation natürlich ein wenig.

Aber wir machen uns dennoch pflichtbewusst auf den Weg, die Schokolade will ja abgeholt sein. Und der Regen reicht auch heute zum Glück wieder nicht, um uns ernsthaft zu durchnässen.

Unser erster Stopp ist in Apeldoorn auf dem Marktplatz, ein Ort, den ich auf dieser Reise ungewollt noch einmal sehen sollte. Wir halten uns mit Eurodance Nummern warm und naschen aus dem Eimer Nüsse und Trockenfrüchte, den uns der Unverpackt Laden aus Münster gesponsert hat.

Weiter geht's nach Amersfoort, wo wir andere Schokofahrende treffen, die auf uns gewartet haben, obwohl wir schon ordentlich hinter unserem Zeitplan liegen (siehe: üppiges Frühstück). Unter anderem ist Micha dabei, der mir meine Lenkrollen-Umpuschelung genäht hat, für die ich ihm nach wie vor ein Bier schuldig bin. Ich kann ihm direkt vor Ort eine Dose Hansa Pils oder ein Uiltje Indian Pale Ale anbieten, aber es ist nicht der richtige Moment, wir haben ja noch etwas zu fahren.

Auf dem Rest der Fahrt wird relativ oft spontan die Route geändert, weshalb mein Wahoo irgendwann nicht mehr aufhört, verzweifelt zu piepen: "Fahren Sie bitte zurück! In 300m bitte wenden!" Ich erlöse das arme Gerät, indem ich die Routenführung beende und einfach hinterher fahre.

Joko ist derweil auf dem ursprünglichen Track geblieben, was ihm zwar die Möglichkeit zu ein paar wirklich schönen Videoaufnahmen von der Gruppe über einen Kanal hinweg bietet, aber auch dazu führt, dass er dann alleine bis zur Villa fährt. Wie zu erwarten war, erhöht er das Tempo und ist deutlich vor der Gruppe da (die sich mit einem Schnitt irgendwo um die 18 Stundenkilometer bewegt, was mir durchaus reicht).

Die Villa Buitenlust ist vielleicht 10 Fahrtminuten vom Amsterdamer Hauptbahnhof entfernt und liegt trotzdem wie auf dem Land. Direkt nebenan, durch eine kleine Gracht getrennt, ist ein Bauerncafé, dahinter wiesen und Schafe. Man glaubt kaum, dass man mitten in Amsterdam ist.

Wir kochen uns Nudeln mit einer köstlichen Linsenbolognese, und ich lerne, dass der Körper nach großer Anstrengung keine Lust hat, große Mengen Essen aufzunehmen. Nach einer Portion ist für mich Schluss, obwohl da bestimmt noch Kalorien aufzufüllen gewesen wären - und es, wie eingangs erwähnt, köstlich ist.

Samstag ist der Tag, an dem die Schokolade abgeholt wird. Vorher muss ich aber kurz beim Frühstück noch lernen, dass der Gouda der Gruppe aus Bremen gehört. Na dann halt nicht.

Die Chokolate Makers waren wohl mal woanders, dorthin habe ich es aber nie geschafft, bei meiner ersten Schokofahrt im Jahre 2018 bin ich am Abholtag mit meinem Sohn Levi weiter ans Meer gefahren und von dort dann mit dem Zug nach Hause - auch, weil ich damals gar nicht wusste, dass ich mein Lastenrad im niederländischen Zug gar nicht mitnehmen darf.

Jetzt sind sie ganz in der Nähe der Villa Buitenlust im Westerpoort, nicht mal drei Kilometer zu fahren. Nach 121 und 128 Kilometern an den beiden Tagen zuvor bin ich freilich auch ganz froh, dass es heute nicht so weit sein muss.

Auf dem Hof angekommen, tummeln sich dort schon allerhand Schokofahrer aus den entlegensten Regionen. Ich habe meinen Klappstuhl mitgebracht, setze mich an die Hafenkante in die Sonne und freue mich, wenn mein PapriCargo bewundert wird.

Zwischendurch hole ich mir den ein oder anderen Keks und ein paar Becher Tee von der Theke, bis irgendwann Rainer und Sophia ankommen, die ihre Schokofahrt in nur drei Tagen - 170, 140 und 170 Kilometer - ausfahren.

Schokolade wird verladen, Aufteilungen werden besprochen, Pommesbuden werden ausgewählt. Auf geht's in die Innenstadt. Rainer und Sophia sind deutlich fixer als ich unterwegs, was nicht nur daran liegen kann, dass mein Tretlager seit dem Vorabend knackende Geräusche von sich gibt.

Bei Oma gibt es wohl ziemlich gute Fritten und das scheint bekannt, ich wusste das gar nicht, kann es aber bestätigen. Dazu noch zwei Groente Kroket und dann machen sich die beiden fleißigen auch schon wieder auf die Rückfahrt, und ich auch, nur habe ich es nicht so weit. Den Rest des Nachmittages existiere ich auf der Terrasse der Villa Buitenlust und auf dem Sofa vor mich hin. Am Abend bringe ich noch Pfand weg und lade die Bedienungsanleitung der Großküchenspülmaschine herunter, um erfolgreich Fehler E6 zu beseitigen.

Am Sonntag geht es zurück nach Deventer. Wir fahren pünktlich vom Hof und bei noch trübem Wetter aus Amsterdam raus. Mein Tretlager ist von gelegentlichem Knacken zu fortdauerndem Knirschen übergegangen, so dass ich bereits (mit mir selbst) Wetten abschließe, ob ich es wohl überhaupt bis nach Deventer, beziehungsweise am Folgetag nach Münster schaffen werde. Jemand ist anschließend der Meinung, damit hätte ich die kommenden Ereignisse heraufbeschworen, und wer weiß, vielleicht.

Zunächst aber bessert sich das Wetter und nach und nach werden lange Kleidungsstücke aussortiert, einige in der Gruppe sind gar in kurz/kurz unterwegs.

Wir fahren durch schöne Landschaften, die wir uns leider auch mit Motorrädern und Autos teilen müssen. An mehreren Maschinen beobachte ich 360 Grad Kameras an langen Selfie Sticks für Third-Person-Aufnahmen, dabei knattern sie so laut durch die Welt, dass die Wände wackeln. Und die Autofahrys? Packen wir die unangenehme Wahrheit auf den Tisch: es mag in den Niederlanden zwar viel sehr gute Fahrradinfrastruktur geben, aber wehe dem, der dann doch mal auf die Fahrbahn muss.

Überholabstand? Gibt es nicht. Langsamer werden im Gegenverkehr, weil zwischen dir und der entgegenkommenden Gruppe Lastenräder gerade mal fünf Zentimeter Platz übrig sind? Niemals!

Irgendwo hinter Putten holt sich dann ein Jaguar-Fahrer die Idiotenkrone, nachdem er handgestoppte zwanzig Sekunden ausdauernd seine Hupe betätigt. Wir befahren gerade ein kleines Teilstück ohne Radweg, als er uns keine hundert Meter später überholen kann, ist der Radweg schon erreicht. Offenbar ein Geduldsfaden ebenso lang wie sein Penis.

Wir machen eine Pause im Wald, um uns von diesem Schrecken zu erholen. Ein Blick auf die Route verrät: noch etwa 16 Kilometer bis Deventer, und im Grunde nur noch bergab! Wir frohlocken und beschließen, uns in Deventer sogar die Fähre über die Ijssel zu gönnen, die direkt vor unserem Hotel anlegt.

Ich komme allerdings nicht so weit. Wir durchfahren gerade den Ort Vaassen, in Zweierreihe, als bei leichter Bergabfahrt Gegenverkehr kommt. Ich sortiere mich nach rechts ein, und es ist wohl einer der dümmsten Zufälle der letzten Jahre. Genau in dem Moment, in dem ich nach rechts eingelenkt habe, erreiche ich einen Gullideckel, der ziemlich weit aus dem Pflaster hervor steht. Mein Vorderrad verkantet sich, wird überdreht, beide linken Lenkzüge reißen, ich verliere die Kontrolle und kippe um.

Das muss man erstmal schaffen.

Nikolai hat einen Ersatzzug dabei, aber mit dem falschen Nupsi am Ende, er rutscht durch. Wir versuchen, einen der beiden rechten Lenkzüge nach links rüber zu bauen, aber er ist zu kurz. Nichts zu machen. Für mich endet die Fahrt. Lea gelingt es, den zweiten Lenkzug falsch herum einzubauen, so dass wenigstens mein Vorderrad gerade stehen bleibt und ich das Rad zur Bushaltestelle schieben kann.

Dort kommt schon in vier Minuten ein Bus. Hastig nehme ich alles, was an Anbauten am Fahrrad verblieben ist - Lautsprecher, Handyhalterung, Fahrradcomputer, GoPro - ab und stopfe es in meinen Rucksack. Dann schließe ich das Rad an und ab - denn wir sind in den Niederlanden und NATÜRLICH gibt es einen überdachten Fahrradständer mit der Möglichkeit, die Räder sicher anzuschließen an dieser Bushaltestelle.

Ein hochmoderner Elektrobus bringt mich zum Bahnhof Apeldoorn, auf der Fahrt komme ich nochmal am Marktplatz vorbei. Am Bahnhof habe ich direkt Anschluss an einen Zug nach Deventer. Ich komme gleichzeitig mit der Gruppe am Hotel an - und fasse den Entschluss, noch am Abend nach Münster weiter zu fahren.

Ich übernehme mein Gepäck, das andere aus der Gruppe dankenswerterweise aufgenommen hatten, ziehe mich um und laufe zum Bahnhof. Unterwegs kläre ich schon mit Rainer den Lieferwagen für den Folgetag ab. Er hat noch eine Idee, wie das Rad vor Ort zu reparieren wäre, aber er weiß ja noch gar nichts von meinem Tretlager.

Und der Montag ist dann für mich eine lange Autofahrt. Aber ich bringe das PapriCargo sicher nach Hause und bleibe, was Schokofahrten angeht, unvollendet. Trotzdem war es wunderschön. Auf ein nächstes Mal.

Dienstag, 14. Februar 2023

Leezenflow Rant

Die letzten vier Monate lag der "Leezenflow" auf meinem Arbeitsweg. Moment. Der WAS?

Ein kasten mit LED, der den Radverkehr auf der Promenade verbessern soll. Etwa 130 Meter, bevor die Promenade Die Hörsterstraße in nördlicher Richtung kreuzt, hat die Stadt Münster einen schwarzen Kasten aufgehängt.


Laut Beschreibung im Internet sei der Leezenflow ein "Grüne-Welle-Assistent", aber als ich diese Bezeichnung zuletzt auf Twitter in einem Thread übernahm, musste ich mir erklären lassen, das stimme gar nicht.

Und tatsächlich, mit einer "Grünen Welle", so wie ich sie kenne, hat das Ding auch tatsächlich nicht viel zu tun. In Gronau, wo meine Großeltern lebten, gab es eine "Grüne Welle". Dort stand ein Schild: "Grüne Welle bei 50km".

Und ähnlich könnte der Leezenflow ja auch funktionieren. Auch wenn auf der Promenade keine Höchst- oder Richtgeschwindigkeit für den Radverkehr gilt, könnten wir relativ einfach eine Durchschnittsgeschwindigkeit zugrunde legen. In Kopenhagen wird das zum Beispiel einfach gemacht, dort wird von 17 Stundenkilometern ausgegangen.

Auf dieser Grundlage könnte der Leezenflow den Radfahrenden also "grün" anzeigen, wenn sie davon ausgehen können, an der folgenden Ampel auch bei "grün" kreuzen zu können.

Aber das tut er nicht.

Stattdessen springt der Leezenflow nahezu gleichzeitig mit der korrespondierenden Ampel auf "rot" und auch wieder auf "grün". Zwar zeigt das Display einen kleiner werdenden Balken und darunter ein Fahrrad, das zum Ende hin schneller aussieht, aber wirklich ablesen, wie lange noch "grün" ist, lässt sich aus dieser Anzeige nicht.

Mehr noch, die eigentliche Ampel ist vom Leezenflow aus bereits sichtbar, ich weiß also genau so viel, wenn ich auf die Ampel schaue, wie wenn ich mir den Leezenflow ansehe.

Dazu kommt, dass die Ampel, um die es geht, eine Busvorrangsschaltung hat. Nähert sich ein Linienbus, verkürzt sich die Rotphase für den Kraftverkehr.

Fassen wir es kurz zusammen, der Leezenflow ist vollständig sinnfrei. Die Stadt hat eine Studie beauftragt, die herausgefunden haben will, dass sich die Anzahl der Radfahrenden, die ohne anzuhalten die Hörsterstraße queren konnten, um 2,5 Prozentpunkte erhöht habe. Zum einen ist das meiner Ansicht nach keine signifikante Steigerung, zum anderen stellen sich mir bei Ansicht der Studie sofort viele, viele Fragen zur Methodik.

So wollen sie zum Beispiel erkannt haben, ob Radfahrende Blickkontakt zum Leezenflow aufgenommen haben. Weder kann ich mir vorstellen, wie das zuverlässig gemessen werden sollte, noch ist es aussagekräftig: vielleicht (oder wahrscheinlich?) sahen die Radfahrenden auch nur das bunte Licht und dachten sich: "HÄ?"

Die Stadt Münster findet es aber natürlich toll, denn es ist eine Maßnahme, die augenscheinlich für den Radverkehr getroffen wird und gleichzeitig den MIV überhaupt nicht beeinträchtigt. So etwas passt hervorragend ins Konzept der Nenn-Mich-Nicht-Fahrradstadt.

Und so wurden bereits weitere Standorte auserkoren und sechsstellige Summen sollen ausgegeben werden, um weitere Leezenflows zu installieren. Gleichzeitig wird das System in weitere Städte exportiert.

Und das, obwohl der original Prototyp weiterhin ohne jegliche Funktion an der Promenade hängt. Ghyle.


Freitag, 10. Februar 2023

Das längste Bewerbungsgespräch der Welt

Ich habe es geschafft, ein ganzes Jahr lang nichts ins Bakfietsblog zu schreiben. Das ist schon hart. Dabei spielen Lastenräder nach wie vor eine große Rolle in unserem Leben, wir haben aktuell drei Stück vor der Tür stehen. Ich fahre meinen Cargo Bike Monkeys Radlader, den ich der Farbe(n) wegen "PapriCargo" getauft habe, der aber bei nächster Gelegenheit zum ObstsaLADER umfirmiert - weil die Paprikas oll geworden sind, daneben steht das orangene Bakfiets meiner Frau und in der Nische neben der Tür wartet immer noch das Bellabike darauf, ob es nochmal gefahren wird. Über 15.000 Kilometer hat es auf dem Buckel, mehr als jedes andere unserer Lastenräder, aber da die Kinder immer größer werden und wir nur noch selten alle Kinder gleichzeitig transportieren müssen, dient es im Moment hauptsächlich als Getränke-Speicher. Leergut und Getränke einfach vor dem Haus stehen lassen funktioniert in unserer Nachbarschaft nämlich nicht, die werden geklaut, aber ins Bellabike hat noch kein Dieb geschaut.

Ab sofort soll es aber reichlich Anlass geben, wieder zu bloggen, denn zusätzlich zu unseren eigenen Lastenrädern habe ich mir einen Job direkt an der Quelle besorgt: ab März bin ich bei Traix Cycles in Münster und verkaufe dir dein Lastenrad deiner Wahl!

Doch wie kam es dazu? Fangen wir vorne an.

Ich hatte einen schlecht bezahlten, aber wunderbar bequemen Job: ich gestaltete Medien in einer Agentur in Münster. 2003 hatte ich dort meine Ausbildung begonnen und war anschließend einfach dort geblieben, die meiste Zeit mit 20 Stunden. Und ich will dem Job auch auf keinen Fall Unrecht tun. Die Agentur war toll, die Kollegen waren Freunde, die Arbeit war spannend und abwechslungsreich. Gerade in den ersten Jahren war es ein wirkliches Abenteuer. Wir eroberten für unsere Kunden Neuland und hatten Spaß dabei.

Aber mit den Jahren wurde mir eines klar: ich möchte aus diesem Job irgendwann selbst gehen, bevor ich aussortiert werde. Denn natürlich kamen über die Jahre immer mal wieder neue Kolleg*innen dazu, und auffällig war, dass sie oft das Skillset, das sich bestehende Mitarbeiter über Jahre angeeignet hatten, bereits von Anfang an mitbrachten.

Und dann kam die Pandemie, und plötzlich war Planung auf lange Sicht eh nicht mehr so angesagt. Meine Liebste sagte irgendwann in den Wochen des Lockdowns: es ist, wie in Afrika. Du planst dein Leben für die nächsten Tage, nicht für die nächsten Jahre.

Und dann kam 2022 und der Krebs nahm uns die Tante. Nicht, dass wir es nicht alle schon gewusst hätten, aber die Vergänglichkeit und die begrenzte Zeit, die mensch so hat, wurde doch hart in Erinnerung gerufen. Und so saß ich an einem Vormittag plötzlich mit meinem Chef im Büro und kündigte meinen Job, in dem ich seit fast zwanzig Jahren arbeitete.

Und dann ging es ab zu - VanMoof. 

Wait, what? Warum zu VanMoof und nicht gleich ins Lastenrad-Gewerbe? Nun, trickreich. Im Jahr 2014 hatte Rainer seinen Laden Traix Cycles von Emsdetten nach Münster verlegt. Noch bevor überhaupt der erste Kunde den Laden in der damals noch Dortmunder Straße betrat, hatte ich ihm schon eine Mail geschrieben und gefragt, ob ich mir für einen Stand am Umwelthaus auf dem Viertelfest ein Nihola von ihm leihen könnte. So lernten wir uns kennen.

Denn: damals habe ich nicht nur noch regelmäßig Blogeinträge geschrieben, nein, ich habe mich sogar in meiner Freizeit auf die Straße gestellt und Lastenräder gezeigt. Voll der Aktivist war ich.

Die Idee, bei Traix Cycles zu arbeiten, stand, so weit ich mich erinnere, nicht viel später erstmalig im Raum. Aber ich hatte ja meinen Mediengestalter-Job und war nicht wirklich wechselwillig.

Aber jetzt, wo ich den Schreibtisch hingeschmissen hatte, warum dann zu VanMoof? Nun, ich hatte mir gedacht, ob es nicht besser wäre, Rainer weiterhin als Freund und nicht als Chef zu haben. Außerdem befand sich das VanMoof S3 auch irgendwie auf dem Sweet Spot genau zwischen meiner Fahrradliebe und meiner Gadgetliebe. Löschte ich nicht mittlerweile regelmäßig meine alten Tweets, könnte mensch da draußen im Netz sogar noch meinen Tweet an @VanMoof finden, in dem ich sie auffordere, einen Brand Store in Münster zu eröffnen. (Fun Fact: der Antwort-Tweet ist noch da)

Und dann ging es los. Ich hatte mir natürlich meine Gedanken gemacht, aus dem Home Office kompatiblen Schreibtisch-Job - in Zeiten der Lockdowns und Isolation hatte ich sogar aus dem Wohnwagen an der Ostsee gearbeitet - nun in eine Woche mit vollen Arbeits- und sogar Samstagen? Aber mein Jüngster kommt im Sommer in die Schule, wann, wenn nicht jetzt, das würde schon passen.

Es passte noch nicht. Und, wenn ich Kritik üben muss: bezüglich der Ausgestaltung der Stellen war oder ist VanMoof dann doch sehr unflexibel. Sich mal einen Samstag freizuschaufeln, wenn es wirklich nicht ging, war müßig, das Team auch nicht groß genug, als dass sich automatisch jemand zum Einspringen fände. Der Wunsch, eine studentische Hilfskraft nur für Samstage einzustellen, stand im Raum, aber so eine Stelle genehmigt das HQ halt nicht. Diese Form von unflexibel. Als ich dann erleben musste, wie Arbeitszeiten völlig selbstverständlich um die Uni-Zeiten unseres Werksstudenten herumgelegt wurden, während ich gleichzeitig meine liebe Mühe hatte, meine Stunden familienfreundlich zu verteilen, wuchs der Zweifel in mir.

Und da ist es dann doch von Vorteil, wenn der Chef ein Freund ist. Und dass bei Traix die Samstage generell nur bis 13:00 Uhr dauern...

Und so fange ich nun, endlich, zum ersten März bei Traix Cycles im Verkauf an. Kommt vorbei und kauft euch ein Lastenrad bei mir. Wir haben tolle Räder da!